Eines der fundamentalen Probleme der Astrophysik ist das Problem der Entstehung der chemischen Elemente. Es wurde lange Zeit vermutet, daß die Elemente wie Wasserstoff, Helium und einige Isotope des Lithium bereits kurze Zeit nach dem Big Bang (Alpher, Bethe & Gamow 1948) entstanden seien. Aber dies löste nicht das Problem der anderen Elemente, darunter sehr wichtige wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen und Gold. Wie es aussieht, können Elemente an verschiedenen astrophysikalischen Orten gebildet werden. Die meisten Orte konnten identifiziert werden, Isotop für Isotop. Der prinzipielle Weg der Nukleosynthese, sowie die Isotopenhäufigkeiten der natürlich vorkommenden Isotope wurde tabelliert (Anders & Grevesse 1989).

Die schwersten Elemente und natürlich fast alle Isotope schwerer als 76Ge, werden in einem von zwei grundlegenden Prozessen gebildet. Diese Elemente werden  nicht durch Kernreaktionen mit geladenen Teilchen produziert, da  Kernwechselwirkungen mit geladenen Teilchen, wie z.B. thermonukleare Fusion, durch die stärker werdende Abstoßungskraft bei schweren Kerne erschwert werden. Oberhalb von 56Fe finden keine Fusionsreaktionen mehr statt, da keine Energie mehr bei der Verschmelzung zweier Kerne frei wird. Jedoch können Kerne Neutronen einfangen, vorausgesetzt eine Quelle für freie Neutronen ist vorhanden. Die Existenz dieser zwei Prozesse wurde als erste von Burbige, Burbige, Fowler und Hoyle (Burbige et al. 1957) und unabhängig davon von Cameron (Cameron 1957) entdeckt. Wie auch immer, die Identifikation des astrophysikalischen Ortes dieser Prozesse dauerte beträchtlich länger. Die zwei Prozesse werden nach der Zeitskala über die sie arbeiten benannt: der langsame (slow) s-Prozeß und der schnelle (rapid) r-Prozeß.

 

s-Prozeß

Stellen wir uns vor, daß wir hätten bereits, durch andere Mittel, einen Vorrat an Saatkernen wie z.B. 56Fe erhalten. Stellen wir uns weiter vor, wir hätten eine Quelle für freie Neutronen. Dieses scheint erst einmal weit hergeholt, denn die durchschnittliche Rate  mit der ein Kern Neutronen einfängt ist sehr viel langsamer als die durchschnittliche Rate für einen b-Zerfall. Es wurde abgeschätzt (Pagel 1997), daß, im Durchschnitt, hundert bis tausend Jahre zwischen zwei Neutroneneinfängen liegen. Der s-Prozeß ist wirklich langsam. In dieser Situation wird ein Saatkern langsam Neutronen einfangen, z.B. 56Fe ® 57Fe ® 58Fe ® 59Fe, gefolgt von 59Fe ® 59Co (b-Zerfall). Dieser Prozeß verläuft weiter entlang dem Tal der Stabilität (brauner Pfeil in Abbildung 1), während die Kerne aufgebaut werden bis 208Pb und 209Bi erreicht sind. Oberhalb dieses Punktes sind die Kerne nicht mehr stabil genug um weitere Kerne durch langsamen Neutroneinfang zu erzeugen. Also kommen wir zu unserem ersten kritischen Punkt: Actiniden können nicht durch den s-Prozeß synthetisiert werden.

Der s-Prozeß verleiht dem “Spektrum” der Elementhäufigkeiten für schwere Kerne ein charakteristisches Aussehen. Für bestimmt Neutronenzahlen -- N = 28, 50, 82, 126 (senkrechte grüne Doppellinien in Abbildung 1) -- wird der Einfangswirkungsquerschnitt für Neutronen viel kleiner als bei den benachbarten Neutronenzahlen. Dies bedeutet, daß, wenn einmal so eine “magische” Neutronenzahl erreicht ist, es für den Kern erheblich unwahrscheinlicher wird weitere Neutronen einzufangen. Diese Zahlen sind ein quantenmechanischer Effekt von abgeschlossenen Schalen, im Prinzip genau wie der Schalenabschluß der Elektronen in einem Atom, was zur Bildung  von chemisch sehr stabilen Edelgasen führt. Wenn der s-Prozeß über eine gewisse Zeit in einer Umgebung wirkt und dann stehenbleibt, erwartet man eine größere Anzahl von Kernen bei diesen “magischen” Zahlen, die dort sozusagen festsitzen. Elemente, die diese “magischen” Neutronenzahlen besitzen, werden verstärkt gebildet. Wir können dies im Sonnensystem beobachten anhand von Peaks um 88Sr, 138Ba und 209Pb.

Genaue Berechnungen basierend auf den Beobachtungen der s-Prozeß-Elemente führt zu spezifischen Details -- Temperatur, Dauer, Neutronendichte -- der astrophysikalischen Umgebung, in welcher der s-Prozeß abgelaufen ist. Solch eine Umgebung ist präsent in speziellen Sternen, genannt Asymptotic Giant Branch (AGB) Sterne. Diese alten, weitgehend ausgebrannten Sterne besitzen einen übriggebliebenen Kohlenstoff-Sauerstoff Kern. Sie werden “gefüttert” vom Heliumbrennen in einer Schale um diesen Kern herum. In dieser Schale geben bestimmte Reaktionen Neutronen frei:

22Ne + 4He ® 25Mg + n

13C + 4He ® 16O + n

Sind diese s-Prozeß-Elemente einmal gebildet, bringt der AGB Stern diese normalerweise durch Konvektion an die Oberfläche, wo so entweder durch den Sonnenwind oder eine spätere Supernova verbreitet werden.

 

Abbildung1:  Isotopentabelle mit den Verläufen der im Text erklärten Prozesse.

r-Prozeß

Wenn auch die Theorie des s-Prozeß eine elegante Nukleosynthesetheorie ist, kann sie einige grundsätzliche Eigenschaften der Elementhäufigkeiten nicht erklären. Wie bereits gesagt kann der s-Prozeß keine Actiniden produzieren, welche aber definitiv in signifikanter Häufigkeit im Sonnensystem vorkommen. Dazu kommt noch, daß jeder Häufigkeitspeak, den wir bereits in der Erklärung des s-Prozesses kennengelernt haben, von einem weiteren Häufigkeitspeak begleitet wird, der zu kleineren Neutronenzahlen hin verschoben ist. Schließlich gibt es noch einige Isotope, wie z.B. das am häufigsten vorkommende Isotop des Osmium, 192Os, welches nicht in der Häufigkeit durch den s-Prozeß synthetisiert werden kann, da 191Os b-instabil mit einer Halbwertszeit von nur 15 Tagen ist.

Um den r-Prozeß zu verstehen gehen wir noch einmal an den Ausgangspunkt des s-Prozesses zurückkehren und überdenken die Situation neu. Im r-Prozeß erfolgen die Neutroneneinfänge sehr schnell; die Zeit zwischen zwei Einfängen ist viel kürzer als die durchschnittliche b-Zerfalls Halbwertszeit. Da die Halbwertszeiten für b-Zerfälle weit außerhalb des Stabilitätstals im Bereich von Sekunden liegen muß der r-Prozeß wirklich sehr schnell sein. Unter diesen Bedingungen fangen Kerne viele Neutronen ein (c.a. 15-20), bis ein Punkt erreicht ist wo diese wieder leicht von thermalen Photonen aus dem Kern herausgeschlagen werden können. In der Literatur wird dies als Gleichgewicht bezeichnet (n,g) « (g,n). Auch hier wirken wieder die “magischen” Neutronenzahlen, diesmal als Flaschenhals für Kerne, die den Pfad des r-Prozesses entlanglaufen. In diesem Fall sind die “magischen” Kerne von einem exotischen, sehr Neutronenreichen Typ. Als Beispiel sei hier 130Cd genannt. Dies ist ein Isotop mit der “magischen” Neutronenzahl N = 82 und einer Halbwertszeit von 167 ms. Man bedenke, das schwerste stabile Isotop des Cadmium ist 116Cd und besitzt 14 Neutronen weniger. Nehmen wir an, die Neutronenquelle reicht nur für kurze Zeit, dann bleiben sehr instabile Kerne auf dem r-Prozeß-Pfad zurück, wobei viele bei den “magischen” Flaschenhälsen hängengeblieben sind. Diese zerfallen über den b-Zerfall zurück zur Stabilität. In unserem Beispiel würde 130Cd eventuell zerfallen nach 130Te, dem häufigsten Isotop des Tellur. Da der b-Zerfall die Anzahl der Neutronen reduziert, erscheint der Häufigkeitspeak bei tieferen Neutronenzahlen als der s-Prozeß Peak.

Der r-Prozeß ist schnell genug um die Region der a-Instabilität oberhalb von 208Pb zu überwinden. Die stabilen Actiniden könnten direkt von einem Neutronenreichen Vorgängerkern produziert werden, oder durch a-Zerfall aus schwereren Elementen hervorgehen. Der astrophysikalische Ort, an dem sich der r-Prozeß ereignet ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine Supernova. Der Prozeß findet statt in einer sogenannten “Hochentropieblase” am Rand des sich neu bildenden Neutronensterns. Ein mögliches zweites Szenario, welches einen genügend hohen Neutronenfluß für den r-Prozeß erzeugen könnte, währe die Verschmelzung zweier umeinander kreisender Neutronensterne “neutron star merger”.

 

Leichte Elemente

Die meisten Elemente, leichter als Eisen und Nickel, können durch sukzessive thermonukleare Fusion aufgebaut werden, die im inneren Kern der Sterne brennt. Es gibt jedoch noch einige ungewöhnliche Prozesse, bei der Produktion verschiedener leichter Elemente. Zum Beispiel im frühen Universum und in thermonuklearen Reaktionen, in denen Helium involviert ist, werden die Isotope 6Li, 9Be, 10B, und 11B völlig umgangen. Diese Elemente sind zwar extrem selten im Sonnensystem, aber trotzdem vorhanden.. Man vermutet, daß sie entstehen, wenn energiereiche kosmische Strahlung auf Kerne, wie zum Beispiel 12C, im interstellaren Medium trifft. Dies führt zu einer partiellen Fragmentation -- Spallation --  des getroffenen Kerns. 11B kann ebenso produziert werden, wenn ein intensiver Neutrinofluß einer Supernova Spallation in einem  12C Kern induziert. Für 19F stellt man sich dies genauso vor.

Wahrscheinlich die dramatischste Nukleosynthese ist die der Eisengruppe. Wenn Eisen und Nickel den Kern eines massereichen Sterns bilden, kann keine Energie mehr freigesetzt, während noch schwerere Elemente durch Fusion entstehen. Für eine eher kurze Zeit sind die Elemente der Eisengruppen im statistischen Gleichgewicht mit einzelnen Nukleonen. Dieser Typ der Nukleosynthese wird bezeichnet als Nuclear Statistical Equilibrium (NSE) oder e-Prozeß. Wenn die Gesamtzahl der Neutronen sehr ähnlich ist der Anzahl der Protonen, und unter der richtigen Temperatur, wird das Isotop 56Ni bevorzugt gebildet  und es wird bei einer späteren Supernova freigesetzt. Der Zerfall von 56Ni ® 56Co ® 56Fe stellt die Energie zur Verfügung, die eine Supernova aufleuchten läßt. Die freigesetzten Elemente der Eisengruppe bilden dann die Saatkerne für die Nukleosynthese in späteren Generationen von Sternen.


Literaturhinweise:

Alper, Bethe und Gamow, Phys. Rev. 73, 803 (1948)
Anders und Grevesse, Geochimica et Cosmochimica Acta 53, 197 (1989)
Burbidge, Burbidge, Fowler und Hoyle, Rev. Mod. Phys. 29, 547 (1957)
Cameron, Atomic Energy of CAnada Ltd., CRL-41; Pub. Astr. Soc. Pacific 69, 201 (1957)
Pagel, Nucleosyntheis and Chemical Evolution of Galaxies (Cambrige University Press, Cambridge, 1997)

Zuletzt editiert 16. Januar 2001. Fragen und Anregungen an Michael Hannawald

Abbildung 2: Elementhäufigkeiten, die Peaks werden durch die “magischen” Neutronenzahl verursacht.

Nukleosynthese
Home
Kernchemie
Astrophysik
Actinides
Transactinides
Kernstruktur
Kernreaktionen
Forschungs- 
 reaktoren
Relativitäts-  
 theorie
Quanten-  
 mechanik
Chemie
Physik des 21. Jh.
Links
Krise der 
 Forschung
Kontakt

Living textbook
of Nuclear Chemisty